In Deutschland sind immer mehr Menschen von Armut bedroht. Durch die Energiekrise und die Inflation ist die Armut auch in der Mittelschicht angekommen. Dennoch war schon lange vor der Krise klar, dass es in Deutschland eine große Zahl an Menschen gibt, die nicht ausreichend finanzielle Ressourcen zur Verfügung haben.
Betroffen sind Personen aller Altersschichten. Besonders auffällig ist, dass das Armutsrisiko besonders für Frauen seit Jahren anhaltend hoch ist – obwohl es immer wieder in den politischen Debatten an der Tagesordnung steht. Wann man in Deutschland als arm gilt, warum Frauen stärker von der Armut betroffen sind als Männer und wie man (Alters-) Armut verhindern kann, erfahren Sie im Folgenden.
Wann gilt man als arm?
Wer offiziell als arm oder reich gilt, beschreibt die europäische Definition von Einkommensschichten. Dies berechnet sich durch einen Prozentsatz des Median- oder Durchschnittseinkommens. Personen, die 60 Prozent oder weniger als das Durchschnittseinkommen zur Verfügung haben, sind von Armut bedroht. Nach den Daten des Jahres 2021 gilt eine alleinstehende Person mit einem Einkommen von 1.251 Euro (Netto) als arm. 2.627 Euro (Netto) definieren bei Familien mit zwei Kindern die Grenze zur Armut. (Quelle)
Die Armut rückt seit Jahren immer wieder in öffentlichen und politischen Debatten in den Fokus. Im letzten Jahr sorgte die Thematik vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges und der damit verbundenen Inflation für neuen Zündstoff.
Rentnerinnen stärker von Armut bedroht
Im Jahr 2021 waren in Deutschland 15,8 Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht. Die Armutsgefährdungsquote für Personen ab 65 Jahren lag mit 19,4 Prozent über diesem Durchschnitt. Ähnlich sah es bei Personen ab 75 Jahren aus. Hier lag die Armutsgefährdungsquote bei 18,8 Prozent. Bedeutet: In Deutschland sind immer mehr Rentner auf die Hilfe des Sozialamtes angewiesen. Im Dezember 2021 bezogen in Deutschland rund 1,1 Millionen Menschen die Leistungen der Grundsicherung. (Quelle)
Warum steigt die Altersarmut insgesamt?
- Die Zahl der Renten-Einzahler sinkt (der Höhepunkt wird circa im Jahr 2035 erwartet), während die Zahl der Leistungsbezieher steigt.
- Längere Ausbildungszeiten, weniger Kinder, vorzeitige Rente nach 45 Jahren Einzahlung und längere Lebenszeit nach dem Renteneintritt drücken auf die Leistung.
- Die Kaufkraft (Inflation) sinkt; die Reallöhne sinken ebenfalls, beziehungsweise steigen nur langsam. Hohe Sozialversicherungsbeiträge drücken zudem auf die Netto-Kaufkraft; die Möglichkeit, privat vorzusorgen, sinkt.
- Dem Staat gelingt es nicht, mehr Frauen Vollzeit zu beschäftigen. Parallel bleibt die Zahl von Minijobbern hoch.
- Die Integration von Zuwanderern – gerade aus der Ära 2015 – funktioniert kaum. „Ein Drittel in Essen ist gut angekommen. Die besser Ausgebildeten haben sich schnell zurechtgefunden. Andere nehmen die freigewordenen Stellen im Servicebereich an, ob in der Gastronomie oder bei Lieferdiensten. Zwei Drittel aber tun sich noch schwer, auch mit der Sprache. Viele beziehen soziale Hilfen. Es ist für uns schwierig, mit ihnen Kontakt zu halten und sie zu qualifizieren. Anders als bei anderen Migrantengruppen gibt es kaum organisierte Vereine oder Verbände, die Ansprechpartner wären“, verdeutlicht Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen, in einem Interview mit die WELT. (Quelle)
Im Allgemeinen begünstigen weniger Sparbeiträge, weniger Kaufkraft, weniger Beitragszahler und mehr Leistungsempfänger das Problem. „Die Versteuerung der Renten und auch die geringe Durchhaltekraft bei Vorsorgesparplänen treiben zusätzlich“, weiß Seidenfad.
Aus den Zahlen des Statistischen Bundesamtes geht zudem hervor, dass nicht nur Rentnerinnen, sondern Frauen aller Altersgruppen stärker armutsgefährdet sind als Männer. Im Jahr 2021 lag die Armutsgefährdungsquote bei Frauen in der Bevölkerung 16,5 Prozent. Die Armutsgefährdungsquote der Männer betrug 15,1 Prozent. Der Unterschied wird mit zunehmendem Alter größer. So hatten Frauen mit einem Alter von 65 + eine Armutsgefährdungsquote von 21,0 Prozent, während die Quote bei Männern sich bei 17,4 Prozent befand. Seniorinnen ab 75 Jahren waren ebenfalls zu 21,0 Prozent armutsgefährdet, Senioren dieser Altersgruppe zu 15,9 Prozent. (Quelle)
Warum sind Frauen stärker von Armut betroffen als Männer?
Worin liegen die geschlechts-spezifischen Unterschiede? Das sogenannte Gender Pay Gap wird häufig debattiert und beschreibt, dass Frauen weniger verdienen als Männer – nicht nur im Durchschnitt, sondern auch in denselben Berufen. „Weniger Frauen arbeiten dauerhaft in Vollzeit, wodurch Einzahlzeiten fehlen und auch die Einzahlhöhe limitiert ist“, so der Experte.
Insbesondere ab dem 30. Lebensjahr, aber auch im höheren Alter, sind Frauen seltener erwerbstätig und verdienen weniger. 2020 arbeiteten 66 Prozent aller Mütter und 35 Prozent aller Frauen ohne Kind in Teilzeit. Bei Vätern waren es sieben Prozent, bei Männern ohne Kind 12 Prozent. Dadurch erwerben Frauen geringere Rentenansprüche, beziehungsweise verfügen seltener über ein Einkommen aus der Erwerbstätigkeit in den späteren Lebensjahren. (Quelle)
Ein weiterer Faktor: Frauen verdienen weniger als Männer. Im Jahr 2021 bekamen Frauen in Deutschland pro Stunde durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer. Auf den Stundenlohn gespiegelt, erhielten Frauen mit durchschnittlich 19,12 Euro einen um 4,08 Euro geringeren Bruttoverdienst als Männer (23,20 Euro). Zudem arbeiten 37,5 Prozent der Frauen einerseits in Teilzeit, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Andererseits sind viele in Bereichen beschäftigt, in denen nur nach Mindestlohn gezahlt wird. (Quelle)
Zwar hat das Bewusstsein für den Gender Pay Gap in den letzten Jahren zugenommen, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern hat sich jedoch noch in keinem EU-Staat vollständig geschlossen. Im Jahr 2020 waren die Staaten mit den EU-weit geringsten Unterschieden im Bruttoverdienst Luxemburg, Rumänien und Slowenien. Deutschland blieb eines der Schlusslichter im EU-weiten Vergleich. (Quelle)
„Die Kombination bedingt das primäre Problem.“ Die gute Nachricht: Über die vergangenen 15 Jahre ging der geschlechterspezifische Verdienstabstand in Deutschland zurück. Im Jahr 2006 war er mit 23 Prozent fünf Prozentpunkte größer als im Jahr 2021.
Eigenverantwortliche Altersvorsorge ist wichtiger denn je
Durch die staatlich unabhängige Bildung von Altersvorsorge und Vermögen besteht die Möglichkeit, langfristig eigene Rücklagen und damit einen Puffer für den Ruhestand aufzubauen. „Durch den frühen und disziplinierten Einstieg in die Themen ´Sparen und Altersvorsorge´, kann Altersarmut verhindert werden. Wer früh anfängt und das Sparen seinem steigenden Gehalt anpasst, wird kaum Probleme bekommen. Das gilt umso mehr für die Nutzung von betrieblichen Altersvorsorge (bAV) und auch flexiblen Investmentanlagen“, so Seidenfad.
Hier kommen Arbeitgeber ins Spiel. Durch die bAV ermöglichen sie es dem Arbeitnehmer mit teils minimalem Eigenaufwand, eine zusätzliche Rente aufzubauen. Nicht nur für den Arbeitnehmer lohnt sich die Zusatzrente, auch Arbeitgebern bietet die bAV einige Möglichkeiten, wie zum Beispiel die Steigerung der Attraktivität des Unternehmens oder die Stärkung der Mitarbeiterbindung.
Fazit: Armut hat viele Gesichter
Die Armut in Deutschland wächst. Betroffen sind vor allem kranke Menschen, Niedriglöhner und Arbeitslose, kinderreiche Familien oder alleinerziehende Personen. Auch Rentner sind stark betroffen: Aus einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes aus dem Herbst letzten Jahres geht hervor, dass mehr als ein Viertel der Rentner ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1000 Euro zur Verfügung haben. Auffällig ist, dass Frauen aus verschiedenen Gründen stärker von der Armut betroffen sind als Männer.
Die private Vorsorge gewinnt, auch in Hinblick auf den demografischen Wandel, mehr denn je an Bedeutung. „Zudem ist der Staat gefordert, Familien und vor allem Frauen das Leben und die Vereinbarung von Beruf und Familie zu vereinfachen.“